Max Raabe „Übers Meer“

Cover Max Raabe – Übers Meer

Mit dem Album „Übers Meer“ legt der deutsche Chansonnier Max Raabe sein erstes Solowerk vor. Es versammelt Stücke deutsch-jüdischer Komponisten, die vor den Nationalsozialisten „übers Meer“, also in die sicheren USA emigrieren mussten. „Übers Meer“ ist ein zum Großteil stilles und feingliedriges Album geworden. Dazu trägt auch die meisterhafte Klavierbegleitung durch Max Raabes langjährigen musikalischen Wegbegleiter, Christoph Israel bei. Noch einmal klingt wehmütig eine längst untergegangene, künstlerisch ungemein fruchtbare und reiche Zeit an, bevor die Nationalsozialisten auch hier alles zerstörten.

Der vorletzte Titel des Albums, „Wenn der Wind geht über das Meer“, erzählt indirekt vom Schicksal der Komponisten, die über Frankreich oder England in die USA flüchteten – vom Abschied, der vielleicht ein endgültiger sein würde. Doch nicht alle Titel von Max Raabes Soloalbum atmen die Schwermütigkeit jener Zeit. Das Album enthält ebenso den bekannten Wortwitz jener Zeit, der uns heute etwas museal anmutet. Der erste Titel des Albums, „Weißt du was du kannst“, spielt mit den Worten und sofort entsteht beim Hören die leichte Atmosphäre eines hellen Sonntagnachmittags, an dem ein Mann auf seine Liebste wartet und ihr reichlich zweideutig zuruft: „Weißt du was du kannst? – Mich am Nachmittag besuchen. Weißt du auch wozu? –  Zu ’ner Tasse Tee mit Kuchen! Was es auf der Welt gibt, kriegst du bei mir zu naschen…“. Der Songtext stammt von keinem geringeren, als vom großen Fritz Rotter, der in den 1920er-Jahren unter anderem Hits wie „Veronika, der Lenz ist da“ oder „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ komponierte und für seine ironischen Wortspielereien bekannt war. Rotter musste 1936 emigrieren, kehrte allerdings nach dem Krieg in seine österreichische Heimat zurück.

Dass die Texte und Songs heute so nicht mehr komponiert werden würden, räumt Raabe in einer schön gemachten, kleinen Albumdokumentation freimütig ein (man kann sie hier ansehen). Und dennoch reklamiert Raabe gleichzeitig, dass jene Songs ihre Berechtigung natürlich nicht verloren haben – ebenso wenig, wie die Literatur von Eichendorff oder Heine. Dem kann man nichts entgegnen – ganz im Gegenteil: „Übers Meer“ ist neben seiner ruhig-fragilen und auch heiteren Musikalität, dem sehr behutsamen Klavierspiel Israels, auch ein ausgezeichnetes Zeitdokument – ja vielleicht sogar noch mehr: eine Zeitreise. Wer beim Hören die Augen verschließt, sieht fast zwangsläufig jene oft gezeigten Bilder vor seinem geistigen Auge vorüber ziehen, die so plakativ für die stets „golden“ genannten Zwanziger Jahre stehen. Dafür sorgt auch ganz automatisch Raabes jahrelang mit seinem legendären Palastorchester trainierte Stimme, die den Ton jener Zeit (konserviert auf Schellack und in unzähligen Filmen) immer perfekt trifft.

„Übers Meer“ ist ein gelungenes Album. Kein polterndes Werk, das mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit der Massen sucht – nein, eher ein Liebhaberstück, routiniert (im ganz positiven Sinne) eingespielt durch den so schillernden und stets um Haltung bemühten Raabe. „Übers Meer“ versammelt insgesamt 15 Schlager der Weimarer Republik von Komponisten wie dem schon erwähnten Fritz Rotter, daneben Hans May, Walter Reisch und Werner Richard Heymann. Im Herbst 2010 ist Max Raabe übrigens zusammen mit seinem Palastorchester auf Tour und hier besteht die nächste Möglichkeit, den längst zum Weltstar avancierten Raabe live zu erleben, der Hallen in Peking, ebenso wie in Chicago mühelos füllt. Wer den hochgeschossenen Blonden mit dem Schlafzimmerblick und dem stets vorbildlich gestärkten Kragen ohnehin verehrt, wird das Album „Übers Meer“ vermutlich schon längst besitzen – allen anderen sei es wärmstens empfohlen.

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